Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen

ARTIKEL LKZ vom 09.01.2023 VON THOMAS FAULHABER

Regelmäßig machen Missbrauchsvorwürfe in Vereinen Schlagzeilen. Dem wollen die Gesang- und Sportvereinigung (GSV) Hemmingen und die Handball-Spielgemeinschaft (HSG) Strohgäu vorbeugen. Sie haben ein Konzept zum Kindeswohl umgesetzt, was von der Württembergischen Sportjugend mit dem Banner „Kinderschutzgebiet Sportverein“ honoriert wurde.

Tatorte gibt es viele: Umkleiden und Duschen, Trainingslager, Ausflüge und das wöchentliche Training. Die Übergriffe reichen von zufälligen Berührungen bis hin zu sexuellen Belästigungen und Missbrauch. „Wir müssen den Blickwinkel ändern“, sagt Achim Braiger, Präventionsbeauftragter von Verein und Spielgemeinschaft. Es komme nicht darauf an, was Erwachsene darunter verstehen, sondern was Kinder und Jugendliche als unangenehm empfinden. Das beginne bei der Anwesenheit fremder Eltern in der Umkleide, reiche über anzügliche Sprüche von Betreuern bis hin zu sexuellen Handlungen. Betroffen sind Mädchen und Jungen.

Es könne jeden Verein treffen, meint Braiger, der hauptberuflich Bildungsreferent im bischöflichen Jugendamt Rottenburg-Stuttgart ist. Das Problem werde meistens verdrängt und unter den Teppich gekehrt, wenn etwas vorgefallen ist. Es wird geschätzt, dass es in den Vereinen annähernd so viele Missbrauchsfälle gibt, wie in der katholischen und evangelischen Kirche zusammen.

Dem wollen die beiden Vereine in Hemmingen und Schwieberdingen mit einem Maßnahmenpaket einen Riegel vorschieben.

So muss jeder Trainer einen Ehrenkodex unterzeichnen, der sich an dem des Deutschen Olympischen Sportbunds orientiert. Darin ist unter anderem die Nulltoleranz gegen jede Art der Gewalt festgeschrieben – körperlich wie psychisch. Darüber hinaus werden auch die Übungsleiter zu respektvollem, gleichberechtigtem und diskriminierungsfreiem Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen verpflichtet. Dazu muss von allen, die mit unter 18-Jährigen zu tun haben, ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt werden. Die Statuten legen außerdem fest, dass Betreuer während des Umziehens oder des Duschens nichts in der Kabine zu suchen haben. Das gilt insbesondere auch für die Mamas und Papas. Wo immer möglich, wird ein gemischtes Betreuerduo eingesetzt. Und: In der Halle sind alle außer den direkt Beteiligten auf die Tribüne verbannt. Wer sich dort daneben benimmt, auch verbal, riskiert den Rauswurf.

Neben dem Präventionsbeauftragten wurden drei Vertrauenspersonen benannt, die jederzeit angerufen oder angeschrieben werden können. An sie können sich Betroffene in geschütztem Bereich wenden. Das gilt auch für Trainer, die von einem verliebten Teenager bedrängt werden. „Wir hören zu und schenken den Kindern und Jugendlichen Glauben“, erklärt Braiger. Im Normalfall brauche es dafür sonst bis zu acht Stationen, bevor jemand sie ernst nimmt und nicht als Spinner abstempelt. Im zweiten Schritt werde das Gespräch gesucht. Sollte es wegen gravierender Vorfälle notwendig sein, wird auch die Polizei eingeschaltet. Bislang sei das weder bei der GSV, noch bei der HSG nötig gewesen. Zudem wird derzeit ein Netzwerk zum Erfahrungsaustausch aufgebaut, indem bereits 40 Vereine mitwirken. „Wir wollen unseren Mitarbeitern und Ehrenamtlichen gegenüber nicht misstrauisch sein und sie als potenzielle Täter betrachten“, sagt der zweite GSV-Vorsitzende Gordon Götz. Aber man werde Augen und Ohren offenhalten und, wenn nötig, die an-
gemessenen Maßnahmen ergreifen. Das schütze alle Seiten: Kinder und Jugendliche könnten angstfrei und mit Spaß Sport treiben, und Trainer, Übungsleiter und Betreuer seien per se unverdächtig und der Ruf des Vereins bleibe gewahrt. „Wichtig ist, in den Vereinen für dieses Thema immer wieder zu sensibilisieren“, betont Götz.

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